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Industrie 4.0 - Interview mit Christian H. Kienzle

Christian H. Kienzle (CEO ARGO-HYTOS Gruppe)

Christian H. Kienzle (CEO ARGO-HYTOS Gruppe)

Was prädestiniert die Fluidtechnik für Industrie 4.0?
Fluidtechnik nutzt Fluide als Betriebsmedium und diese werden unterschiedlich in unseren Komponenten und Systemen genutzt. Dadurch ändert sich auch der Zustand der Betriebsmedien je nach Applikation von beispielsweise Luft und Öl, was ja geradezu nach Erfassung dieser Veränderung des Betriebszustands und dessen Auswirkung auf das Gesamtsystems schreit.
Die Fluidtechnik ist hier eben aus meiner Sicht eine anspruchsvollere Technologie als beispielsweise die Elektrik. So sind intelligente Steuer- und Regelungstechnik, implementierte Sensortechnik zur Datenerfassung, automatisierte Inbetriebnahmemöglichkeiten oder Möglichkeiten der Kommunikation untereinander bereits „state of the art“ in unserer Branche. Die Fluidtechnik kann somit eigentlich sogar als ein Vorreiter der Industrie 4.0-Philosophie bezeichnet werden.

Gibt es Komponenten, die besonders Industrie-4.0-tauglich sind?
Hersteller hydraulischer und pneumatischer Komponenten und Systemen realisieren seit langem dezentrale Antriebslösungen mit integrierter Intelligenz, beispielsweise in Hydropumpen, Ventilen und Zylinder mit integrierter Regelungs- und Steuerungstechnik und der technologischen Fähigkeit, miteinander zu kommunizieren: Servopneumatik und Proportionalhydraulik sind beste Beispiele.

Welche Chancen bietet Industrie 4.0 für die Fluidtechnik?
Wir erreichen mit unseren intelligenten Komponenten einen Innovationsschub. Jeder Hersteller stellt seine Produkte auf den Prüfstand und muss die „DNA“ seiner Komponenten definieren. Jede Komponente kann im einfachsten Fall ihren Zustand im System angeben. Diese Daten geben die Möglichkeit, Algorithmen zur Selbstoptimierung, zur Diagnose und zur Zustandsbeschreibung zu berechnen. Es entstehen bedienerfreundliche Systeme für Kunden, die Kosten und Nutzen optimieren wollen. Diesen Wettbewerbsvorsprung wollen wir in der Fluidtechnik erhalten und ausbauen.

Will der Anwender überhaupt 4.0-Anwendungen?
Das Internet hat unsere Lebenswelt radikal verändert und es wächst eine Generation heran, die in der digitalen Welt aufgewachsen ist. Glauben Sie, dass diese Generation von Touchscreen, Joystick oder Sprachsteuerung Abschied nehmen will? Und genau so werden zukünftig Maschinen betrieben! Dem Maschinen- und Anlagenbau kommt eine entscheidende Rolle zu. Eine smarte Produktion für unsere Fabriken und neue Geschäftsmodelle für die Endprodukte unsere Kunden werden durch Industrie 4.0 möglich und entstehen bereits. Aber der Entwicklungsweg ist und bleibt anspruchsvoll. Nur im Schulterschluss mit Gesellschaft und Politik können die hohen Anforderungen an Forschung und Entwicklung, Ausbildung und Qualifizierung, Normen und Standards, Rechts- und Datensicherheit erfüllt werden. Es geht schlicht und einfach gesprochen darum, den Industriestandort Deutschland in die Zukunft zu führen.
Der Maschinen- und Anlagenbau sieht in Industrie 4.0 eine große Chance. Nach der VDMA-Impulsstudie (2015) befassen sich knapp 60 % der Unternehmen mit Industrie 4.0. Aber Industrie 4.0 ist kein Selbstzweck. Jedes Unternehmen muss sich nach dem Nutzen und dem Mehrwert für seine Produkte und Produktion fragen. Nicht die durchgängige Integration ist das Ziel, sondern Umsatzsteigerung durch neue Produktinnovationen bzw. Geschäftsmodelle oder Reduzierung der Kosten durch verbesserte Produktionsprozesse.
Jedes Unternehmen muss sich eine eigene Sichtweise auf Industrie 4.0 bzw. seine eigene Strategie hierzu erarbeiten und hierfür die Konzepte und Technologien von Industrie 4.0 auswählen.
I 4.0 ist kein Ponyhof!

Was müssen Konstrukteure beachten, die Industrie-4.0-fähige Fluid-Komponenten konstruieren möchten?
Industrie 4.0 steht für Vernetzung der physikalischen und digitalen Welt, Kommunikation, Datenerfassung mit Verarbeitung und Speicherung. Konstrukteure der Antriebs- und Fluidtechnik als wichtige Zulieferbranchen müssen die vorgenannten technischen Kriterien der I 4.0 Fähigkeit der Produkte schon in der Ideenfindung und Projektierung, bei der Konstruktion und im Engineering berücksichtigen. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit aller im Entstehungsprozess involvierten Technikdisziplinen ist dabei eine Grundvoraussetzung. Aber innovative Firmen stellen ihren Mitarbeitern diese modernen Werkzeuge zur Verfügung. Mit diesen Tools zu arbeiten macht Spaß!
Für die Umsetzung von Industrie 4.0 brauchen die Zulieferbranchen herstellerübergreifende Festlegungen und Standardisierungen, die der Konstrukteur beachten und umsetzen muss. Existierende Standards, wie beispielsweise Sachmerkmale, Referenzarchitektur, Schnittstellen, Datenprotokolle und Ausführungsrichtlinien sind zu beachten.
I 4.0 Fähigkeit setzt genormte Identifizierung, Semantik (Vokabeln und Syntax) und Kommunikation voraus. Hier ist noch viel Fleißarbeit zu leisten.

Speziell in der Fluidtechnik – welche Zustandsdaten können schon heute erfasst werden, und welche Daten werden Sensoren künftig noch sinnvoll abgreifen können?
Industrie 4.0 wird die Grenzen der Physik nicht verändern, d.h., mittels Sensoren werden physikalische Parameter auch künftig der Schwerpunkt der Erfassung von Betriebsdaten sein. Druck, Temperatur, Durchfluss, Vibration und Geräuschmessung sei hier nur als Beispiel genannt. Unser Haus ARGO-HYTOS beschäftigt sich im Besonderen mit Sensorik zum Ölzustand und der Vorhersage zur Nutzung des Mediums (predictive maintenance).

Wenn Sie 20 Jahre vorausdenken – was wird die Fluidtechnik dann besser machen (gibt es sie überhaupt noch oder wird sie von der Elektrotechnik ersetzt)?
Zweifelsfrei wird es auch in 20 Jahren die Fluidtechnik - Hydraulik und Pneumatik - geben. Die Fluidbranche ist eine innovative und wichtige Zulieferbranche für vielfältigste Applikationen. Natürlich steht die Fluidtechnik im Wettbewerb mit anderen Technologien und stellt sich dieser Herausforderungen. Steigende Nachfrage in der Automation für pneumatische Lösungen beweist den Erfolg. Eine hohe und flexible Leistungsdichte zeichnet die Hydraulik aus. Die Erwartungen des Betreibers an eine Maschine sind hohe Produktivität, hohe Zuverlässigkeit, niedrige TCO, hohe Verfügbarkeit und Energieeffizienz. Antriebe der Hydraulik und der Elektrotechnik werden für jeweils spezielle Prozesse verwendet.
Und in der Mitte treffen sich hybride Antriebe.

Wird Industrie 4.0 der Fluidtechnik neue Anwendungsfelder erschließen?
Auch die Fluidtechnik wächst an den Aufgaben bzw. Herausforderungen - es werden sich neue Anwendungsfelder erschließen bzw. eröffnen, Ingenieure sind kreativ! Neue Applikationen und Geschäftsmodelle eröffnen sich durch die konsequente Umsetzung und Nutzung der neuen Funktionalitäten, die sich durch 4.0 ergeben. Beispiele: Automatisierte Inbetriebnahme, autonome Arbeitsmaschinen, selbststeuernde und sich überwachende Systeme. Aber hier ist der Anwender unserer Kunden als Komponenten- und Systemhersteller gefragt und nicht primär der Ingenieur. Es könnte eine Erweiterung und Intensivierung der Verschiebung der Nachfragesituation in Richtung Service und Dienstleistung erfolgen. Tatsächlich kann es sein, dass die digitale Gesellschaft uns hier den Weg beschreibt. Uber lässt grüssen!

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